Langsam regen sich erste Zweifel, ob die niederländische Regierung das Jahresende überdauern wird. Masseneinwanderung, angekündigte Bauernproteste, fragwürdige Stickstoffbegrenzungen, undurchsichtige Klimaregelungen, Diskussionen über die Nutztierhaltung, kritische Stromversorgung, eklatante Wohnungsnot – lauter Themen, zu denen das Kabinett schweigt. Am Wochenende hätte der konservativ-liberale Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) beim „Offenen Debattentag“ seiner Partei zumindest die Masseneinwanderung ansprechen können – das hatte er auch angekündigt.
Doch er mied das Thema und erklärte stattdessen lapidar, sein Kabinett sei „stabil“. Das sehen seine Gefolgsleute längst nicht mehr so: Das zentrale Auffanglager für Flüchtlinge in Ter Apel ist erneut überfüllt, Anwohner beschweren sich über Vandalismus und Diebstahl, nicht mal mehr der Bus hält in dieser Kleinstadt. Auch das Vertrauen der Wähler der übrigen Regierungsparteien ist zerstört: Nur noch jeder fünfte von ihnen glaubt, daß die Regierung die Asylkrise löst.
Für Rutte dürfte das Regieren in Zukunft ohnehin noch ungemütlicher werden: Gerade formierte sich die Erste Kammer. Nach einem komplizierten Auszählverfahren, das tatsächlich drei Monate dauerte, steht die Sitzverteilung nun fest. Caroline van der Plas erhält mit ihrer Bauernbürgerbewegung (BBB) 16 der 75 Sitze, nächststärkere Fraktion ist der Zusammenschluß der Grünen und der sozialdemokratischen PvdA mit 14 Sitzen. Für Gesetzesvorhaben wird sich die Regierungskoalition – die VVD verfügt über zehn Sitze, die Christdemokraten (CDA) über sechs, die links-liberale D66 über fünf und die calvinistische CU über drei Sitze – nun jeweils einer der beiden als Mehrheitsbeschaffer bedienen müssen.
Die Bauernbürgerbewegung hat gute Machtoptionen
Ihr Dilemma: Sucht Rutte die Unterstützung durch die Linken, gefährdet er sein Amt noch weiter. Will er jedoch von der BBB unterstützt werden, müßte er das tun, wovor er am meisten zurückschreckt, nämlich entschieden die beiden wichtigen Themen Einwanderung und Stickstoff anpacken. Druck bekommt Rutte momentan von allen Seiten. Selbst der migrationspolitische Sprecher seiner eigenen Partei, Ruben Brekelmans, fordert strenge Maßnahmen zur Migration bis zum Sommer, andernfalls seien „alle Optionen offen“.
Die BBB ist unterdessen mit Koalitionsverhandlungen beschäftigt. Noch in keiner der zwölf niederländischen Provinzen und den zuständigen Wasserbehörden gibt es eine neue Koalition, die BBB sitzt aber – außer in Utrecht – überall mit am Verhandlungstisch. Die lange Verhandlungsdauer wird mit der parlamentarischen Unerfahrenheit der BBB erklärt, schließlich ist van der Plas in der Zweiten Kammer eine Einmann-Fraktion.